FRIEDER HOFMANN I POSITIONEN I PUBLIKATIONEN I PROJEKTE
Auszug aus: F. Hofmann "Die Besten in den Osten" - Erinnerungen 2002-13 / F. Hofmann 2015
An einem sonnigen Spätsommervormittag des Jahres 2002 saß eine kleine Gruppe sächsischer Geschäftsleute im sozialistisch weiträumigen Restaurant des Moskauer Flughafens Scheremetjevo 1. Die Stimmung war entspannt und lebhaft, denn es gab etwas zu feiern. Auch ich saß in dieser Runde und freute mich mit, denn wir hatten eine Woche erfolgreicher Präsentationen und Gespräche auf der jährlichen Baufachmesse „Architektura i Stroitelstvo“ in Nischni Nowgorod hinter uns. Für mich persönlich war es ein gelungener Neustart, nachdem ich mich entschlossen hatte, meine russischen Kompetenzen zu nutzen, um als Projektentwickler und Wirtschaftsberater für kleine und mittelständische Unternehmen tätig zu werden, die sich auf dem russischen Markt etablieren wollten.
Bei den aufstrebenden Mittelständlern galt die Russische Föderation 10 Jahre nach der deutschen „Wende“ als zukunftsträchtiger Wirtschaftspartner. Der neue russische Präsident Putin hatte nach dem von seinem Vorgänger Jelzin hinterlassenen Chaos begonnen, die russische Gesetzlichkeit zu reorganisieren und für Rechtssicherheit zu sorgen. Weil sich dieser Prozess in vielen Gesellschaftsbereichen und Wirtschaftsbranchen nach deutschem Vorbild und mit der Unterstützung durch europäische und deutsche Förderprogramme vollzog, deckte er sich mit den Erwartungen der in- und ausländischen Unternehmerschaft an profitable und möglichst risikofreie Geschäfte.
Deshalb entschloss ich mich, mit der Delegation des „Mitteldeutschen Bauforums Leipzig“ nach Nischni Nowgorod zu reisen. Trotz seiner Größe (1,5 Mio Einwohner) machte das frühere Gorki auf mich im Vergleich zu Leipzig einen eher gemütlichen und provinziellen Eindruck. Der Blick von der höher gelegenen Altstadtseite auf die majestätisch dahinfließende Wolga war beeindruckend und bot mit dem historischen, denkmalgerecht wiederhergestellten Kreml eine ungefähre Vorstellung, wie die alte Messestadt im 19. Jahrhundert ausgesehen haben mochte. Der französische Schriftsteller Alexandre Dumas, der 1858 auf seiner „Reise durch Russland“ hier Zwischenhalt machte, beschrieb dieses Bild in seinem Reisebuch „Reise durch Russland“ so:
„Ich konnte die Vereinigung der Oka mit der Wolga vollkommen überblicken, und vor meinen Augen breitete sich der Markt in seiner ganzen Ausdehnung von ungefähr zwei Quadratmeilen aus, bedeckt mit Baracken, zwischen denen sich ein Mosaik aller Völker, Russen, Tataren, Perser, Chinesen, Kalmücken und was weiß ich noch, bewegte.“
Das Nischni von 2002 verfügte über ein riesiges wirtschaftliches Potenzial, das im wesentlichen vom Wolga-Autowerk (GAS) und den während des 2. Weltkriegs aus der Moskauer Region evakuierten Rüstungsbetrieben (Panzer-, Flugzeug- und U-Bootbau) geprägt wurde. Nur 900 km östlich von Moskau gelegen, zählten Stadt und Gebiet Nischni Nowgorod zu den aufstrebenden zukunftsträchtigen Regionen der Russischen Föderation. Nach der 1995 erfolgten Wiedereröffnung der in sowjetischen Zeiten für Ausländer „geschlossenen“ Rüstungsschmiede hatte Boris Nemzow, erster Gebietsgouverneur unter Jelzin, sich um ein auch für ausländische Geschäftsleute attraktives Investitionsklima bemüht. Neben britischen und niederländischen Firmen waren diesem Ruf bereits Unternehmen aus Nordrhein-Westfalen gefolgt, die mit dem Wolga-Don e.V. (Lufthansa, Ferrostaal AG u.a.) und der West LB in Nischni über eigene Vertretungen verfügten.
Der Lufthansa-Vorstand Heinz Ruhnau (meines Wissens damals Vorsitzender des Wolga-Don e.V.) ließ eine Fluglinie von Frankfurt/Main nach Perm über Nischni Nowgorod einrichten, die auch ich während meiner Wirtschaftsreisen einige Male benutzte. Der „Ostausschuss der Deutschen Wirtschaft“ beurteilte die Wirtschaftsperspektiven des Nischni Nowgoroder Gebiets ähnlich positiv und empfing W. Solovjov, Wirtschaftsminister der Gebietsregierung, zu einem Gespräch in Berlin. Auch der Freistaat Sachsen suchte in den 90er Jahren Kontakte zu Politik und Industrie des Nischni Nowgoroder Gebiets. Die Messeteilnahme unserer sächsischen Firmen wurde deshalb aus politischer Sicht begrüßt und vom Freistaat finanziell unterstützt.
Die Fachmesse selbst passte gut in die vorherrschende Aufbruchsstimmung. Da Bauleistungen und Baustoffhandel im Aufwind waren, gab es einen großen Bedarf an fachkundiger Beratung. Unser Gemeinschaftsstand, auf dem unsere neun Unternehmen ihre Leistungen für Bauplanung, Bau, Bauausrüstungen und Fortbildung am Bau präsentierten, erregte deshalb (nicht nur wegen eines deutschen Freibier-Abends) die erhoffte Aufmerksamkeit. Natürlich brachte diese erste Messe-Schwalbe noch keinen heißen Wirtschaftssommer, aber immerhin schafften es in den Folgejahren zwei der teilnehmenden Firmen, ihre Präsenz in der Region auszubauen. Ich konnte auf der Messe viele neue Bekanntschaften schließen, so u.a. mit Alexander K., dem Direktor einer Regionalen Entwicklungsagentur, der über umfangreiche Kontakte zu den örtlichen Behörden und Unternehmen verfügte. K. vermittelte mir eine ganze Reihe regionaler Gemeinschaftsprojekte und begleitete mich und einige meiner deutschen Partner bei den ersten Schritten zu ihrer Realisierung.
Das verschaffte mir u.a. einen Einblick in einige der Ursachen und Hintergründe, die einige meiner Wirtschaftsprojekte be- bzw. verhinderten und in der Folge zum Rückgang der Anziehungskraft der Stadt für ausländische Investoren führten. Leider betraf das auch die Idee des von uns auf der Messe vorgestellten Deutsch-russischen Wirtschaftszentrums. Nischni Nowgorod, die Stadt, mit der mich zehn Lebensjahre geschäftlicher Höhen und Tiefen, spannender Erfahrungen und viele neue Bekanntschaften verbanden, verließ ich deshalb mit einem lachenden und einem weinenden Auge.
Dr.-Ing. Architekt Frieder Hofmann
gpfhofmann@parus-le.de
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Aktualisierung: November 2024
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