FRIEDER HOFMANN I POSITIONEN I PUBLIKATIONEN I PROJEKTE
Veröffentlicht in „Geschichten über den Zaun“, Engelsdorfer Verlag Leipzig 2019, herausgegeben
durch die Leipziger Bürgerinitiative "Gute Nachbarschaft mit Russland"
Eigentlich sollte das ein Erinnerungsbuch werden. Ich wollte meinen beruflichen Werdegang und die Schwierigkeiten mit dem Planen und dem Bauen in der DDR beschreiben, dabei auch Verschiedenes richtig stellen. Doch man riet mir ab: Die DDR sei umfassend besprochen, abgearbeitet, tot. Keiner wolle solche Texte noch lesen, geschweige denn kaufen. Auch wenn es Ausnahmen gäbe - kommerziell sei ein solches Projekt riskant. Ein Buch über Russland dagegen, in dem ich über meine berufliche Tätigkeit und Erfahrungen mit Land und Leuten erzählen würde, könne man sich schon eher vorstellen. Ich erbat mir Bedenkzeit. Sowieso hatten wir uns schon seit längerer Zeit eine Russland-Reise vorgenommen, um alte Freunde zu besuchen und zu erkunden, was mit den aus Studienzeiten bekannten Orten geworden war.
Moskau begrüßte uns heiß, laut und mit einem Heer pinkfarbener Plastikpinguine, die sich als Maskottchen eines Straßenfestivals herausstellten. Die früher das Stadtbild dominierenden Werbetafeln fehlten völlig. Man erklärte uns, dass das auf eine Entscheidung des neuen Moskauer Stadtoberhauptes zurückzuführen wäre, der auch veranlasst hätte, das aus Zeiten des alten Bürgermeisters Luschkow stammende Beton-Gehwegpflaster gegen edle Granit-Platten auszutauschen. Diese Maßnahme überzog das historische Stadtzentrum zwischen Bolschoi-Theater und Lubjanka mit einer Menge kleiner, Lärm und Staub verbreitenden Baustellen, auf denen südländische „Gastarbeitery“ sogar an den Wochenenden herumwerkelten.
Die Moskauer scheren sich wenig um solche Einschränkungen – die Moskauerinnen stolzierten hochhackig über die Kiesbetten – und seit die Autofahrer gesetzlich verpflichtet sind, an den Zebrastreifen anzuhalten, entwickelt sich das Stadtzentrum zu einer fast durchgängigen Fußgängerzone. Das ist bemerkenswert, hatten doch schon in den 80er Jahren Architekten ohne Erfolg darum gerungen, wenigstens eine Innenstadt-Straße (die Stoleschnikow-Pereulok) zur autofreien Zone erklären zu lassen. Man hatte es ihnen nicht erlaubt. Heute glänzt das Moskauer Zentrum mit fachkundig restaurierten Fassaden, frischem Grün und einer modernen Straßenmöblierung, die sich nicht vom Stadtbild einer beliebigen europäischen Großstadt unterscheidet ...
Das russische Publikum, das man im neuen Stadtbild antrifft, ist jung, unkonventionell gekleidet und bewegt sich zwischen Eisbuden, Blumenrabatten und Musikanten des Straßenfestivals ungezwungen und (was den weiblichen Anteil betrifft) ziemlich offenherzig. Auf dem Weg zum Roten Platz begegneten uns aber auch viele Herren mittleren Alters im Anzug, mit hellblauem Hemd und farblich abgestimmter Krawatte. Das erklärt sich durch die Vielzahl traditionell im Stadtzentrum ansässiger föderaler Ministerien. Ein Mitte 2000 beschlossener Plan der Regierung, diese Ministerien an den südwestlichen Stadtrand umzusiedeln, wurde bisher nicht umgesetzt, so dass sich das tägliche Verkehrschaos in der Stadt nicht nur durch das enge Straßennetz und die neuen Fußgängerzonen, sondern auch durch die Häufung schwarzer ministerieller Limousinen verschärft ... Bemerkenswert ist die große Zahl chinesischer Touristen in und um Moskau und St. Petersburg, die unsere russischen Freunde nicht allein auf den steigenden Wohlstand und die wachsende Reiselust der chinesischen Gesellschaft, sondern auch auf die von Europa verhängten Sanktionen zurückführen. Denn genauso wie in der Wirtschaft sucht man auch im Fremdenverkehr nach anderen solventen Kunden, wenn die zahlungskräftige Klientel aus Europa ausbleibt.
Bei den Gesprächen im Freundeskreis waren die Wirtschaftssanktionen kein Thema. Dafür fragt man uns zuerst nach unserer Einschätzung der Merkelschen Flüchtlingspolitik und ihrer Auswirkungen, weil das Thema in Russland, das angesichts der Gastarbeiter-Ströme aus den ehemaligen Sowjetrepubliken mit ähnlichen Problemen zu kämpfen hat, schon länger und ebenfalls sehr kontrovers diskutiert wird. Beim Treffen mit unseren Kommilitonen in einem alten Stalin-Wohnhaus am Leninprospekt geht es allerdings mehr um die Zahl der Enkel, die Höhe der Renten und das Preisniveau in den Moskauer und Berliner Supermärkten.
Unsere Freunde fragen uns, warum wir nicht über Facebook erreichbar sein wollen und bekunden ihr Für und Wider zu unserer Haltung, dass man die globale Datensammelwut nicht noch durch sein eigenes Zutun befördern sollte. Einige von ihnen sind noch berufstätig, weil die niedrigen russischen Renten dazu zwingen, sich einen Zuverdienst zu sichern (private Rentenvorsorge nach der Art deutscher berufsständischer Versorgungswerke gibt es in Russland nicht, dafür liegt das Rentenalter – ein Relikt aus sozialistischen Zeiten - für Frauen immer noch bei 55, für Männer bei 60 Jahren).
Wir bekommen Ratschläge zu aktuellen Ausstellungen in der Stadt und werden vom Gastgeber gefragt, welche gesetzlichen Möglichkeiten deutsche Eigentümergemeinschaften haben, um die Sanierung ihrer Häuser (wie des denkmalgeschützten Stalin-Baus, in dem wir gerade feiern) finanziell und organisatorisch abzusichern. Zwei unserer Freunde sind kirchlich engagiert und wir erhalten Informationen über die neue Rolle des Glaubens in der russischen Gesellschaft (die Meinungen, was die Kirche hierzulande bewirken kann und soll, gehen stark auseinander). Einigkeit besteht darüber, dass der orthodoxe Glaube und seine Vertreter das russische Nationalgefühl stärken helfen, was die Regierung für ihre Politik zu nutzen versteht. Doch man klärt uns auf, dass ein Beitritt zur Glaubensgemeinschaft oft Prestigegründen und Karrierezwecken dient, was einer der Freunde als eher „dekorative“ Glaubensausübung bezeichnet.
Naturgemäß spielt bei solcherart Diskussionen die russische Sprachkenntnis eine große Rolle - besonders dann, wenn die Mitglieder unserer Runde ihre blumigen, originellen und bei solchen Anlässen unentbehrlichen Trinksprüche ausbringen (bei denen wir selbstverständlich nicht ausgenommen werden). Für mich ist es immer wieder beeindruckend, wie gut man sich in einem solchen Kreis über Gott und die Welt austauschen kann – so, als wären wir nie voneinander getrennt gewesen. Und das stimmt, denn unsere Verbindung und unser Gedankenaustausch – in den 90er Jahren noch per Briefpost, dann über das wesentlich schnellere und sicherere Internet – sind in den letzten Jahrzehnten nie abgebrochen.
Ich erzähle der Runde über unsere Zusammenarbeit mit den Bautzener Orgelbauern und ihren Projekten in St. Petersburg und stelle dabei wieder fest, dass dieses gegenseitige Einvernehmen, wie wir es schon zu unseren Studentenzeiten erleben konnten und jetzt wieder genießen, nur in einem bestimmten Klima gedeiht. Dieses gegenseitige Verständnis und Vertrauen ist ein zerbrechliches Pflänzchen, das gepflegt und ganz sicher auch öfter begossen werden muss, damit es die erhofften Früchte trägt. Wie ich es während meines langjährigen geschäftlichen Engagements in Russland erfahren habe, ist die Entstehung eines solchen belastbaren Vertrauensverhältnisses ein langwieriger Prozess. Beim gegenwärtigen fragilen Stand der deutsch-russischen Beziehungen braucht es auf beiden Seiten ohne Zweifel viele kundige und verständnisvolle Gärtner, um die derzeit dahinwelkenden Felder wieder zum Blühen zu bringen.
Dr.-Ing. Architekt Frieder Hofmann
gpfhofmann@parus-le.de
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Aktualisierung: November 2024
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