FRIEDER HOFMANN I POSITIONEN I PUBLIKATIONEN I PROJEKTE
Beitrag zum 40. Diplom-Jubiläum am Moskauer Architekturinstitut.
In: Skryljow/Suetin (Hrsg.) „Love Story oder 148 Seiten über die Liebe“ Moskau 2014
Zum Diplom ins Freudenhaus
Das Studium war geschafft und alle Vorprüfungen bestanden. Wir hatten schon Vorverträge mit unseren zukünftigen Einsatzbetrieben in der Tasche und waren von diesen mit anspruchsvollen und praxisnahen Diplomthemen beauftragt worden. So ging es bei meiner Diplomarbeit um die Stadtsanierung in Greifswald, die nach meinem Arbeitsbeginn im Wohnungsbaukombinat Rostock 1974 tatsächlich auch meine erste große Planungsaufgabe werden sollte.
Unsere letzte Hürde zum Diplom waren nunmehr „nur noch“ die folgenden fünf Monate, in denen die Diplomarbeiten praktische Form und Gestalt annehmen mussten. Um diese Aufgabe räumlich lösen zu können (am MArchI wurden die Diplomarbeiten auf quadratmetergroßen Zeichentafeln angefertigt), bezogen die „Diplomniki“ ein altes Gebäude am Trubnaja Platz, kurz „Truba“ genannt. Über dem Eingang der „Truba“ hing aus unerfindlichen Gründen eine rot leuchtende Lampe, was die Studenten zu allerlei Sticheleien veranlasste. Es ist verbürgt, dass eines Tages ein alter Professor, zu Zarenzeiten einmal selbst Student der Hochschule, auf die rote Laterne angesprochen wurde und unter großem Gelächter erwiderte: „Nun ja, damals bin ich auch hier gewesen. Schööön wars...“
Dass die „Truba“ schon ein hohes Alter hatte, bewies ihr schlechter Bauzustand. So war die Elektroinstallation so weit heruntergekommen, dass es im Haus immer wieder zu Kurzschlüssen kam. Dennoch gab es Studenten, die dort nicht nur tagsüber arbeiteten, sondern ganze Nachtschichten im Gebäude verbrachten. Am Abgabetag (ein Kleintransporter brachte die Zeichentafeln der Delinquenten in den Ausstellungssaal der Hochschule), mussten nicht selten alle noch vorhandenen Kräfte mobilisiert werden, um vor der Prüfungskommission und interessierten Studenten bestehen zu können (die Verteidigungen waren öffentlich). Einer unserer Kollegen, ein Student aus Ecuador, war in der Nacht vor der Verteidigung so müde, dass ihn seine Freundin zum Ausschlafen ins Wohnheim schickte. Das Diplomprojekt wurde in den restlichen Nachtstunden von seinen „Sklaven“ fertig gestellt. Unser Freund verteidigte sein Diplom (den Entwurf eines Flughafens für Quito) mit Auszeichnung.
Apropos „Sklaven“. Am MARCHI gab es eine schöne Tradition: In der Diplomzeit kamen jüngere Studenten und ältere Absolventen in die „Truba“, um ihre Diplomkollegen zu unterstützen. Dieser Brauch nannte sich übersetzt „Sklavendienste leisten“ (рабствовать) und galt sowohl als Unterstützung als auch als Erfahrungsaustausch. Jedoch erstreckte sich die Mitwirkung nicht auf die inhaltliche Seite der Diplomarbeit, sondern nur auf die handwerkliche Unterstützung bei der zeichnerischen Darstellung oder beim Modellbau.
Natürlich wurden die bestandenen Diplome auch mit den „Sklaven“ zusammen auf der „Truba“ gefeiert – nach russischem Brauch hieß das - „abgewaschen“. Einer der Kandidaten hatte das schon mal wörtlich genommen und in der Nacht vor seiner Verteidigung einen Teil seiner fertigen Diplomarbeit mit Rotwein begossen. Natürlich wurde der Pechvogel gebührend bedauert. Auch er hat schließlich sein Diplom verteidigt – mit welchem Ergebnis, ist allerdings nicht überliefert.
Keine Legende ist allerdings die Verwendung von Tee oder Rotwein zum Lavieren der Fassaden. Es wurde sogar heftig gestritten, mit welchen Techniken sich welche Farbtöne erzielen ließen. Das Ergebnis der Verwendung von Tee (Indischer Schwarzer Tee ergibt, wenn ich mich recht erinnere, einen warmen Gelbton), was sich am Beispiel der Arbeit eines unserer DDR-Kommilitonen durchaus sehen lassen konnte.
Nach 5 ½ Jahren Studium hatten wir es damit glücklich – und termingemäß! - geschafft. Bis zur endgültigen Heimreise musste ich mich nun nur noch bei rund 30 Stellen abmelden, um endlich das kleine Diplombüchlein mit meinen kunsthandschriftlich ausgefüllten Namensdaten und der Berufsbezeichnung in der Hand halten zu können. Der darauffolgende „Erholungsurlaub“ in Thüringen war leider nur kurz. Nach der Rückkehr zu Hause erwartete mich schon ein Telegramm von der Küste: „Dringend mitteilen, wann Arbeitsbeginn in Greifswald möglich“.
Acht Jahre später stand ich wieder vor einer Prüfungskommission des MArchI, nun ausgestattet mit einem soliden Fachwissen aus meiner Greifswalder Architektenpraxis. Nach einer vierjährigen Fernaspirantur verteidigte ich meine Dissertation „Sanierung historischer Innenstädte der DDR mit Unterstützung der elektronischen Datenverarbeitung“.
Auch für die sowjetischen Kollegen war das Thema interessant und hochaktuell. Das drückte sich dadurch aus, dass man mir einen der kreativsten Köpfe des sowjetischen Städtebaus zur Seite stellte. Prof. Alexej Gutnov (1937-86), früher führendes Mitglied der futuristischen Stadtplanungsgruppe NER und nun Leiter der Experimentalwerkstatt des Büros des Moskauer Generalbebauungsplans, gab mir viele Anregungen zu meiner Arbeit und öffnete mir Türen, die sogar offiziellen DDR-Delegationen verschlossen geblieben waren. So z.B. zu EDV-Rechenzentren, die damals die „Adressenplanung“ im sowjetischen Städtebau praktizierten (eine individuelle Gebäudeplanung, die in der DDR unbekannt war). Fast ein Kuriosum: Meine Dissertation verteidigte ich am Tag nach dem Tod Leonid Breshnews, dem 11. November 1982, an dem das gesamte gesellschaftliche Leben in der sowjetischen Hauptstadt zum Erliegen kam.
Dr.-Ing. Architekt Frieder Hofmann
gpfhofmann@parus-le.de
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Aktualisierung: November 2024
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