FRIEDER HOFMANN I POSITIONEN I PUBLIKATIONEN I PROJEKTE
Nachwende-Jahre in Leipzig / Aus: Frieder Hofmann „Die Besten in den Osten“ / Erinnerungen und Anekdoten 2014
Bekanntermaßen kam es anders und das Baukombinat musste sich nicht nur auf veränderte politischen Bedingungen, sondern auch auf die Konkurrenz der großen westdeutschen Bauunternehmen einstellen. Bevor sich das Blatt endgültig wendete, suchten Ost und West aber Partner. Bei einem dieser Versuche war ich am Rande mit dabei, als Führungskräfte des Baukombinates mit Vertretern des Baukonzerns Bilfinger&Berger zusammentrafen. Das Treffen fand im Gästehaus der DDR-Regierung am Park (in der Schwägrichenstraße) statt, das im Hinblick auf Architektur, Service und Qualität der Bewirtung keinen Vergleich mit Häusern der Interhotel-Klasse scheuen mußte, in den Folgejahren keinen neuen Eigentümer fand und verfiel.
Wir trafen uns mit den Bilfinger&Berger-Leuten in einem der Salons des Hauses und erschienen dem Anlass gemäß, wie wir meinten, in dunklen Anzügen und Krawatten. Wir waren überrascht, als unsere Verhandlungspartner in Jeans und sportlich-eleganten Pullovern durch die Tür traten. Der Eindruck, den das BKL an diesem Abend hinterließ, schien den Gästen aber gefallen zu haben, denn die Gespräche wurden fortgesetzt. Am Folgetag (meine erste Lektion in Management-Knigge) hatten sich aber die Bilfinger-Leute vornehm „in Schale geschmissen“ und wir waren locker-flockig in Jeans erschienen. Großes Gelächter auf beiden Seiten! Zu einem weiteren mir bekannten Treffen kam es auf der CONSTRUCTA 1990 in Hannover, doch danach drehte sich der Wind. Der Westen setzte auf Konfrontation statt auf Kooperation und auch Bilfinger & Berger zog sich zurück.
Der verordnete Sprung ins eiskalte Wasser der Privatwirtschaft
Im April 1990 gründete sich aus dem VEB Baukombinat die Erste Baugesellschaft Leipzig AG (EBL). Alles, was nicht zum Kerngeschäft "Bau" gehörte, wurde aus dem ehemaligen Kombinatsverbund ausgegliedert und als GmbH verselbständigt. Auch ich bekam meine Abberufung als Chefarchitekt (kein nach westlichem Muster strukturierter Baukonzern braucht einen Chefarchitekten) und übernahm ein partnerschaftlich geführtes Planungsbüro in der Leipzig-Projekt GmbH, einer der o.g. BKL-Ausgründungen.
Leipzig-Projekt war eins der wenigen von der Treuhand damals zugelassenen Buy-Out-Managements und wurde durch ältere leitende Mitarbeiter des früheren BKL-Planungsbetriebes als Gesellschafter getragen. Leider musste das Unternehmen so wie auch das „gewendete“ Baukombinat mit einem Negativ-Image starten, weil uns nach wie vor der Ruf anhaftete, nur „Plattenbau“ zu können. Denn auch wir DDR-Architekten wurden in jenen Tagen von der Westpresse nicht verschont und als „Buhmänner“ der Nation an den Pranger gestellt. So erschien am 14.6.1991 in der BILD-Zeitung ein Beitrag mit den Fotos meiner Chefarchitekten-Kollegen aus den anderen Baukombinaten und ihren „schmucken (privaten) Häusern“ im Vergleich zu dem, was sie angeblich an Hässlichkeiten für's einfache Ost-Volk geplant hätten. Auch die Neubauten im Leipziger Stadtzentrum vom Ende der 80er Jahre wurden unter der Mitwirkung und dem Beifall hiesiger Plattenbau-Gegner so abqualifiziert (vgl: https://www.parus-le.de/nikolaistrasse-31-leipzig).
Doch die DDR-Hetze der Westmedien beschränkte sich bei weitem nicht nur auf den Wohnungsbau. Als wir 1990 ein Gewandhaus-Konzert besuchten, wurden wir im Foyer von einem Aushang des Gewandhaus-Kapellmeisters Masur und des Architekten Prof. Skoda überrascht, in dem beide Persönlichkeiten Presseberichte dementierten, nach denen im Gewandhaus (so wie auch im Berliner "Palast der Republik") angeblich gesundheitsschädlicher Asbest verbaut worden sein sollte. Ohne den sofortigen und entschiedenen Widerstand Masurs und Skodas hätte das Leipziger Gewandhaus wegen dieser Lüge eventuell das gleiche Schicksal erlitten wie später der "Palast" in Berlin.
Neue Köpfe braucht das Land
Nicht nur deshalb bemühten wir uns mehrfach um partnerschaftliche Kontakte zu namhaften westdeutschen Planungsbüros. Andererseits versuchten westdeutsche Unternehmen, die Köpfe ostdeutscher Firmen anzuwerben, um mit deren Hilfe besser im Osten Fuß fassen zu können. So wurde auch ich mehrfach von „Headhuntern“ angesprochen und lernte dabei, mich mit dieser mir bisher unbekannten Spezies der marktwirtschaftlichen Realität auseinanderzusetzen. In der Folge gründeten sich vielerorts deutsch-deutsche Partnerschaften, die sich später dauerhaft in Leipzig niederließen. Neu war für mich, daß westdeutsche Planungsbüros mit großen Namen (Dorsch, Hentrich, Stosberg) oft bereits in der 3. Generation fortbestehen, wobei der Seniorchef und Bürogründer seine ersten Meriten nicht selten schon im Gefolge des Hitler-Architekten Albert Speer erworben hatte. Bei einer solchen Konkurrenz gestaltete sich der Neubeginn für die rein ostdeutschen und finanziell schwachen Architekturbüros schwierig. Denn wo die Reise hingehen sollte, hatte der neue Leipziger Baudezernent Lüdke-Dahltrup schon in seiner Antrittsrede vor der Leipziger Architektenschaft postuliert. Auf die Frage eines „eingeborenen“ Kollegen, wie er die Leipziger Architekten am Wiederaufbau der Stadt beteiligen wolle, erwiderte er mit der ihm eigenen Arroganz, dass er für eine Stadtentwicklung mit „internationalem Flair“ einstehen würde.
Umso wichtiger erschien es daher, schnell entsprechende Planungserfahrungen im Westen zu sammeln. Als mir der scheidende Chefarchitekt der Stadt Dr. Dietmar Fischer deshalb im Herbst 1990 den Vorschlag machte, als Partner eines Hannoveraner Planungsbüros am Wettbewerb für ein Mövenpick-Hotel in Leipzig teilzunehmen, griff ich sofort zu. Dieses Vorhaben hatte mehrere Gründe: Erstens drängte die neue Stadtverwaltung mit dem ehemaligen Hannoveraner Oberstadtdirektor Lehmann-Grube und dem neuen, aus Mannheim zugezogenen Stadtplanungs-Stadtrat Gormsen auf sichtbare Erfolge bei der Stadterneuerung. Zweitens gab es in Leipzig einen gravierenden Nachholebedarf an Büroflächen und Hotelbetten. Und drittens fand sich mit „Mövenpick“ ein Unternehmen, das sich Leipzig als idealen neuen Geschäftsstandort in den östlichen Bundesländern vorstellen konnte.
Mit dieser Zielsetzung wurden zwei Architektenwettbewerbe ausgelobt - für einen Bürokomplex in der Klostergasse hinter dem Messeamt am Markt und für ein „Mövenpick“-Hotel im Quartier zwischen Nikolaistraße, Brühl, Halleschem Tor und Richard-Wagner-Straße. Umgesetzt wurde später leider keiner der Hotel-Entwürfe, weil es „Mövenpick“ nicht gelang, die jüdischen Alteigentümer zum Verkauf ihrer Grundstücke am Brühl zu bewegen. Später übernahm die „Mövenpick“-Gruppe den alten „Burgkeller“ am Naschmarkt, der sich bis zum Beginn der Totalsanierung des „Handelshofes“ 2010 bei Jung und Alt als beliebter Treffpunkt halten konnte.
Doch auch ohne „Mövenpick“ war Leipzig in den 90er Jahren – im positiven wie im negativen Sinn – zur „Boomtown des Ostens“ geworden. Abgesehen vom sinnentleerten Streit, welche der sächsischen Städte (Leipzig oder Dresden) die meisten Kräne im Stadtbild vorzuweisen hatte, begann 1991 die Diskussion um ein neues Messegelände im Leipziger Norden, das die funktionale Wertigkeit des Stadtzentrums radikal verändern und das Gelände der alten Technische Messe am Völkerschlachtdenkmal für lange Jahre als Industriebrache zurücklassen sollte. Auch die historische Industrielandschaft in Leipzig-Plagwitz verwandelte sich für längere Zeit in eine Brachfläche, nachdem die in der DDR unter frühkapitalistischen Bedingungen arbeitenden Textil- und Metallbetriebe pleite gegangen und ganze leer stehende Gebäudekomplexe abgebrochen worden waren.
Wem gehört die Stadt? Wer die Kapelle bezahlt, bestimmt die Musik.
Im Stadtzentrum tobte inzwischen der Kampf um die Immobilien. Explodierende Mieten und m²-Preise führten zu einem Verdrängungswettbewerb, der in vielen Fällen zu Lasten der traditionsreichen mittelständischen Leipziger Gastronomie- und Handelsbetriebe ging. So verschwanden neben dem Cafe „Corso“ das Cafe „Cather“, der langjährige Stammtreff der Leipziger Künstler. Der „Thüringer Hof“ wurde abgerissen und als kompletter Neubau wiedererrichtet. Die seit Urzeiten im „Handelshof“ in der Reichsstraße etablierten Leipziger Originale „Waffen-Moritz“, „Samen-Koch“ und „Gummi-Klose“ mussten Mode-Boutiquen und sich rasant vermehrenden Schuhläden Platz machen. Ab 1991 kaufte der Immobilienhändler Jürgen Schneider berühmte Leipziger Immobilien auf, so die Mädler-Passage, Barthels Hof und Thiemes Hof in der Querstraße, die er mit erheblichem Aufwand sanieren ließ. Aus heutiger Sicht brachte dieses Engagement zweifellos einen Gewinn für die Leipziger Stadtentwicklung. Daß er gegenüber den Banken den Wert seines zusammengekauften Imperiums mit zum Teil kriminellen Mitteln maßlos übertrieben hatte, führte letztlich zu Schneiders Insolvenz - und zum Ruin vieler kleiner und mittlerer regionaler Subunternehmer. - Auch einer meiner Bauherren bekam die Allmacht der Banken zu spüren und musste trotz aller Bemühungen sein Vorhaben aufgeben, in der Innenstadt ein kleines aber feines Geschäftshaus mit der damals wohl ersten Leipziger Gasthausbrauerei zu etablieren (vgl.: https://www.parus-le.de/geschichte-der-magazingasse).
Den Leipziger Bürgern wie auch uns Architekten ging vieles an dieser Entwicklung gegen den Strich, zumal wir uns bei den im Rathaus getroffenen Entscheidungen ständig außen vor gelassen fühlten. Kritische Worte fielen, in der Presse mehrten sich Schlagzeilen wie „Keksrollen des Aufschwungs“ (für die gehäuft auftretenden „Runden Ecken“ der neuen Investoren-Architektur) und „Chance der behutsamen Erneuerung vertan“. Dazu wurde bekannt, dass mit dem vom Westen betriebenen „Aufbau Ost“ einige dubiose Geschäftemacher in die Stadt gekommen waren (Namen wie Männel und Trabalski machten die Runde), die absahnten, ohne dafür eine adäquate Leistung erbracht zu haben.
Als 1992 die Bilfinger&Berger Projektentwicklung und die Rendata Immobilien Management GmbH mit RKW Architekten Düsseldorf ihre Pläne zum Umbau von „Specks Hof“ veröffentlichten, war wohl eine Schmerzgrenze erreicht. Für das Projekt, das traditionsreiche Messehaus zu einem Einkaufs- und Geschäftszentrum nach westlichem Vorbild umzubauen, sollten die historischen Passagen abgebrochen werden, um an ihrer Stelle einen großen inneren Lichthof einrichten zu können. Der Leipziger Künstler Heinz-Jürgen Böhme schrieb seinerzeit zu diesem „Präzedenzfall Specks Hof“:
„Da die Besitzer offensichtlich weder willens noch in der Lage waren, Sensibilität für den besonderen Charakter des Bauwerks und die Situation der Stadt aufzubringen, visitierten sie sofort und mit kaum zu übertreffender Rigorosität dieses zerstörerische Umnutzungskonzept an, dem die älteste erhaltene Passage Leipzigs zum Opfer fallen sollte: Sanierung der für das Firmenimage vorzüglich geeigneten Außenfassade, dafür freie Hand (sprich Abbruch) im Innern.“ (Aus: Leipziger Blätter Heft 21/1992)
Durch den heftigen Widerstand der Leipziger Bürgerschaft gelang es schließlich, diese Pläne zu stoppen. Im Ergebnis wurde eine Sanierungslösung umgesetzt, die dem bedeutenden Baudenkmal mit der Erhaltung der historischen Passagen und wichtiger historischer Baudetails besser gerecht wird. Den unfreiwillig auf die „neue Linie“ umgeschwenkten Projektentwicklern und Planern verhalf ihr Umdenken schließlich sogar zu einem internationalen Denkmalsanierungspreis.
P.S. Nach dem Zusammenschluss mit der Thüringer „Ritter Bau GmbH“ 1993 folgte ihr die Erste Baugesellschaft Leipzig 1995 in die Insolvenz, nachdem sie infolge der schmerzhaften „Sanierung“ ihres DDR-Vorgängers, des VEB Baukombinat Leipzig, auf etwa ein Zehntel ihrer Belegschaftsstärke zusammengeschmolzen war. Die Zeitung „Neues Deutschland“ schrieb dazu am 04.08.1995:
„Mit dem Konkurs der Erfurter „Ritter Bau GmbH“ und ihres Tochterunternehmens Erste Baugesellschaft Leipzig AG (EBL) hat die Pleitewelle der ostdeutschen Baubranche ihren vorläufigen Höhepunkt erreicht. Gingen 1992 insgesamt 97 ostdeutsche Unternehmen in Konkurs, so waren es nach Angaben der IG Bau-Steine-Erden 1994 bereits 720 Betriebe ...“. Vorausgegangen war eine Medienkampagne, in der man die EBL-Führung verunglimpft und den Vorstand des Unternehmens der Unterschlagung bezichtigt hatte (BILD v. 22.10.1991; STERN 32/1992). Ein darauffolgendes Gerichtsverfahren gegen den ehemaligen EBL-Vorstandschef Dr. Günter Bellmann und drei weitere Manager wurde 2001 ohne Ergebnis eingestellt (LVZ v. 12.01.2001).
Die Leipzig-Projekt GmbH schaffte es gerade noch über die Jahrtausendwende. Im April 2001 führten falsche Management-Entscheidungen, die personelle Übergröße des Unternehmens und eine sich rapide verschlechternde Auftragslage auch hier in den Konkurs. Das Insolvenzverfahren wurde sage und schreibe fünfzehn Jahre später 2016 abgeschlossen. In der Schlussrechnung waren die Ansprüche der entlassenen Mitarbeiter als nachrangig eingestuft und „mangels Masse“ zurückgewiesen worden. Der frühere Plagwitzer „Joseph-Konsum“, den Leipzig-Projekt in den 90er Jahren gekauft und aufwendig als Bürohaus ausgebaut und saniert hatte, fiel an die finanzierende Bank.
Im April 2021 titelte die „Leipziger Volkszeitung“: „Leipzigs Wohnungsmarkt: Die Stadt gehört vor allem den Westdeutschen. - Wem gehört die Stadt? Diese Frage ist in Leipzig nicht leicht zu beantworten, weil es dazu keine offizielle Statistik gibt. Die LVZ hat Fachleute befragt und Dokumente gewälzt … Ergebnis: Die Mehrzahl der 340.000 Leipziger Wohnungen gehört Privatpersonen, Unternehmen, Fonds oder Pensionskassen aus Westdeutschland.“
(Aus: "Redaktionsnetzwerk Deutschland" in der LVZ v. 10.04.21)
Dr.-Ing. Architekt Frieder Hofmann
gpfhofmann@parus-le.de
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Aktualisierung: November 2024
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