FRIEDER HOFMANN I POSITIONEN I PUBLIKATIONEN I PROJEKTE
Auszug aus: F. Hofmann "Die Besten in den Osten" - Erinnerungen 2002-13 / F. Hofmann 2015 / Leicht gekürzt
Die Nähe zur Ostsee war ein echter Standortvorteil für das Wohnungsbaukombinat (WBK) Rostock mit Niederlassungen in Greifswald, Stralsund und Bergen/Rügen. Als Leitbetrieb für Erholungsbauten in der DDR wurde das WBK in der Regel mit der Planung und dem Bau von Ferienheimen und Gästehäusern an der Küste beauftragt, so dass unsere Greifswalder Architektenkollegen in ihren „jungen“ Jahren schon größere Objekte in den Küstenorten planen und realisieren konnten. So zeichneten zum Beispiel unsere Kollegen Egon Hoffmann und Wolfgang Bachmann 1969/70 für die Planung des Ahrenshooper Kurhauses verantwortlich. Deshalb war uns Ihre Wut und Enttäuschung verständlich, als man dieses Architekturdenkmal 2008 abriss und durch einen widerlich protzigen Neubau ersetzte.
Auch die Pläne für das das heutige „Cliff Hotel“ in Sellin auf der Insel Rügen sind in den Planungsbüros des WBK entstanden. Das ursprünglich als Erholungsheim für das ZK der SED geplante Objekt konnte sich schon 1978 zum Zeitpunkt seiner Inbetriebnahme im internationalen Vergleich sehen lassen und ist ein schlagender Beweis, dass die Rostocker Architekten in der DDR-Architektur einen besonderen Platz einnahmen. Das hängt nicht zuletzt damit zusammen, dass die führenden WBK-Architekten nicht nur als hervorragende Fachleute galten, sondern auch gute Kontakte zur Partei- und Staatsführung des Bezirkes pflegten, die sie, falls nötig, sogar gegen das Interesse des Kombinats einzusetzen verstanden. Die führenden Genossen wiederum waren bestrebt, das nationale und internationale Ansehen des Küstenbezirks (besonders vor dem Hintergrund der alljährlich stattfindenden „Ostseewoche“) durch sehenswerte Beispiele in Städtebau und Architektur zu untermauern - auch für heutige Verhältnisse ein vorbildliches Bauherrenverhalten.
Als Leipziger fragt man sich deshalb immer noch, wieso es die Verantwortlichen für das Bauen in Leipzig nicht fertig gebracht haben, eine ähnliche Entwicklung in ihrer Stadt zu initiieren, zumal die „Leipziger Messe“ diesbezügliche Kraftanstrengungen jederzeit gerechtfertigt hätte.
Ostseestrand in Volkes Hand
Schon in DDR-Zeiten galt die Ostsee als einer der Sehnsuchtsorte der „Südländer“. Jede Familie schätzte sich glücklich, wenn sie einmal vom Feriendienst der Zentralgewerkschaft FDGB einen der begehrten und unschlagbar billigen Ostsee-Ferienplätze zugesprochen bekam. Wir, die wir quasi an der Quelle saßen, konnten uns überzeugen, dass die Ureinwohner des Küstenbezirks jede sich bietende Möglichkeit nutzten, um das bestehende Defizit an Ferienplätzen privat für sich nutzbar zu machen. So besichtigten wir eine Schmiede in Dierhagen, deren Dachgeschoss als Ferienunterkunft ausgebaut worden war. Der Zugang erfolgte über Treppen an den Giebelseiten des Hauses und wenn die Schmiede morgens mit ihrer Arbeit begannen, sah man von oben Urlauberfamilien herunterklettern, die sich auf den Weg zum Strand aufmachten. Nach den Preisen, die für solche „Urlaubsplätze“ gefordert (und gezahlt!) wurden, fragten wir lieber nicht. Auch wir Anrainer besuchten die umliegenden Strände, wesentlich entspannter jedoch in der Nachsaison, wenn die Bürgersteige in den Badeorten „hochgeklappt“ und die sonnenhungrigen „Südländer“ wieder in ihre Heimatbezirke entschwunden waren.
Auch das WBK Rostock hatte eigene Methoden entwickelt, um die angespannte Marktlage bei Ferienunterkünften nicht nur für seine Mitarbeiter, sondern auch für Beschäftigte befreundeter Branchen-Kombinate zu verbessern. So benötigt jedes Bauvorhaben eine Baustelleneinrichtung, die nach der Übergabe des Bauobjektes wieder zurückgebaut werden muss. Das WBK errichtete seine BE in landschaftlich schöner Umgebung und ließ sie dort stehen, um sie (je nach Möglichkeit) als Ferieneinrichtung für WBK-Angehörige weiternutzen zu können. Damit verfügte das Kombinat über ein Tauschpotenzial, das es wahlweise gegen Ferienplätze im Gebirge und - bei der herrschenden Materialknappheit - auch zur Beschaffung der DDR-weit begehrten Fassadenklinker einsetzen konnte. Wenn die Rostocker nur auf planwirtschaftliche Bilanzmengen angewiesen wären, dann hätten ihre Wohngebiete ebenso grau ausgesehen wie der Plattenbau im Rest der Republik.
Nachahmungen blieben da nicht aus, und so machten es sich Institutionen und Betriebe aus der halben DDR bald zur Ehrensache, ihre eigenen Ferienheime und Kinderferienlager in den Küstensand zu setzen. Als besonders interessantes (oder eher „unverfrorenes“) Beispiel dafür erlebte ich den Neubau einer Diskothek in Karlshagen, in die man uns als Regionalgruppe des Architektenverbandes als Gutachter einlud. Über die Architektur des Baus und seine Innenausstattung mit einem Sternenhimmel aus -zig kleinen Lämpchen konnte man sicher geteilter Meinung sein. Der Grund, weshalb man uns aber nach Karlshagen eingeladen hatte, war ein 2-geschossiges Bettenhaus, das sich klotzig hinter der Disko erstreckte. Als Urheber dieser dorfplanerischen Schandtat nannte man uns einen südlichen VEB, dem die Ortsverwaltung für seine Leistungen am (öffentlich wichtigen) Disko-Bau eine Baugenehmigung für zwei Ferienbungalows erteilt hatte. Diese Vereinbarung war von den Sachsen nur etwas großzügig ausgelegt worden. Die Fertigteile für den Rohbau des Bettenhauses hatte man, wie wir erfuhren, (Transportkapazität war knapp!) auf dem Wasserweg über Oder und Peene herangeschafft! Ein Abriss ließ sich unter den „ortsüblichen“ Bedingungen zwar nicht durchsetzen, aber hier sah man's wieder: Not macht erfinderisch! Namen wurden am Biertisch nicht genannt, doch als ich später in der Lausitz Urlaub machte, entdeckte ich in Niesky Fotos aus DDR-Zeiten, auf denen das besagte Betriebsferienheim eines ortsansässigen Unternehmens gut zu erkennen war.
Das Architekten-Handwerk in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts
Der berufliche Alltag in unserer Greifswalder Planungsabteilung verlief wesentlich entspannter und „lockerer“ als wir es später im großen Projektierungsbetrieb des Leipziger Baukombinates erlebten. Ein Glücksfall offenbar, denn in Leipzig wären wir als Absolventen und Berufs-Anfänger hilflos „unter die Räder“ gekommen.
Bei der termingerechten Abarbeitung anstehender Planungsaufträge wurde aber auch in Greifswald nicht auf die Uhr gesehen und oft in Überstunden gezeichnet und gerechnet. Planung war damals noch eine 100%ige Hand- und Kopfarbeit. Die Handarbeit fand am Reißbrett statt, das vor Beginn jedes neuen Objektes (ein Ritual!) eine neue Bespannung mit Zeichenkarton bekam. Die Zeichnungen wurden mit Bleistift auf Transparentpapier aufgetragen und mussten mit Tusche kopierfähig „ins Reine“ gezeichnet werden. Falsche Tuschestriche ließen sich nur mit einer Rasierklinge oder einem Glasradierer vom Transparent entfernen. Das Ins-Reine-Zeichnen und die Zusammenstellung der Projektmappen erledigten in der Regel ausgebildete Fachzeichnerinnen. Das Zeichen-Verfahren war zeitraubend, denn der Entwerfende musste „seiner“ Zeichnerin vorher erläutern, was sie zu tun hatte und in welcher Form sie seine Skizzen ins Reine bringen sollte. Nicht nur deshalb habe ich wichtige Zeichnungen, insbesondere auch Fassaden und Schaubilder immer selbst aufs Papier gebracht. Mit zunehmender Anwendung der CAD (dem computergestützten Entwerfen) wurden Zeichnerinnen zunehmend entbehrlich, denn Architekten und Ingenieure entwerfen und zeichnen am Bildschirm selbst, was mit einem Plotter sofort in beliebiger Stückzahl ausgedruckt werden kann.
Da Planungsunterlagen mehrfach auszuliefern waren, mussten in der Lichtpauserei Kopien vom Transparent-Original auf einem Spezialpapier gezogen werden. Das belichtete ("lichtgepauste") Spezialpapier wurde mit Salmiakgeist entwickelt, was diese Arbeit langwierig und gesundheitsschädlich machte. Die Lichtpausen und auch die Pauserei, die sich in der Innenstadt befand, stanken nach Salmiakgeist. Der „Lichtpauser“ erhielt eine „Sonderzuteilung“ von mehreren Litern frischer Milch, die die eingeatmeten Dämpfe neutralisieren sollte. Eine Projektauslieferung war auf diese Weise sehr aufwendig, denn das Schneiden und Falten der Kopien und das Einsortieren in die Mappen dauerte oft mehrere Tage.
Mit kleinen Aufträgen groß rauskommen
Inzwischen übertrug man uns erste kleinere, dafür aber eigenständig zu lösende Aufgaben. Der Zeitdruck bei der Bearbeitung war damals nicht so groß wie heute, dafür wurden diese Objekte – eine Bushaltestelle, ein Kinderspielplatz – wirklich nach Plan gebaut und genutzt. Der Spielplatz mit kindgerechten Sitzgruppen aus bunt bemalten Fertigteilen, einem Labyrinth und einer Kletterpyramide erhielt, nachdem mein Studienhintergrund auf der Baustelle bekannt wurde, von den Bauleuten sogar einen Ehrennamen - „Das Russische Wunder“.
Als 1975 die ersten „Ersatzneubauten“ im Greifswalder Stadtzentrum fertig gestellt waren (vgl. Chronik 1968-90 / Greifswalder Lehrjahre 1974-82), erregte das Ergebnis DDR-weites Aufsehen, weil sich die neuen 3-4-geschossigen Häuser mit ihrer individuellen Farbgebung und den Läden in den Erdgeschossen der Eckhäuser stark von der landesüblichen WBS 70-Typenbaureihe unterschieden. Vorbild für die Eckläden waren die in Rostocker Neubaugebieten errichteten „Gesellschaftsbau-Ecklösungen“. Diese Musterlösung für kleine Läden, Gaststätten und Dienstleistungsannahmen eignete sich auch als Ergänzung der Wohnquartiere in der Innenstadt, zumal man sich die Mühe machte, für die relativ kleinen Ladenflächen zum Teil private Betreiber zu finden. Einer der Interessenten war der traditionsreiche Greifswalder Werkzeug- und Metallwarenhändler Freitag (in der DDR gab es keine Baumärkte wie heute). Um bei seiner Kundschaft seinen Umzug in den für ihn größeren Neubau aus seinem alten Laden publik zu machen, suchte er nach Entwürfen für eine Fensterwerbung und sprach mich an. Ich machte ihm mehrere Vorschläge, so ein Bild mit dem Spruch: „Sie haben was im Auge? – Dann zu Freitag!“. Passend dazu hatte ich ein stilisiertes Auge gemalt, in dem eine Schlagbohrmaschine klemmte. Mein Auftraggeber begutachtete die Entwürfe und war entsetzt. „Also, Herr Hofmann, das mit der Bohrmaschine geht so gar nicht. Die Kunden rennen mir den Laden ein, fragen massenhaft nach und ich hab das nicht am Lager.“ (Bohrmaschinen waren in diesen Zeiten hochbegehrt und kaum zu beschaffen). Grundsätzlich fand Freitag die Idee aber gut, und so einigten uns auf das Auge mit einer – Handsäge. Die waren in großer Stückzahl verfügbar. Für meine Leistung erhielt ich ein angemessenes Honorar. Eine Schlagbohrmaschine, das kann ich hier versichern, war aber nicht dabei.
Wer schaffen will, muss fröhlich sein
Nach dem von einem unserer Haustechniker formulierten Grundsatz: Wer sieben Tage leise geschuftet hat, kann drei Tage laut feiern, wurden unsere Erfolge gemeinsam "begossen". Zu kleinen Feiern traf man sich im Frühstücksraum der Abteilung. Es sprach sich schnell herum, dass es „was zum Feiern gab“ und so wurde jemand losgeschickt, um in der benachbarten Kaufhalle die passenden Getränke, manchmal auch „harte Sachen“ einzukaufen. Von Vorteil war dabei, dass unsere Planungsabteilung in der 5. Etage "hauste" und wir somit unter uns waren, d.h. ungestört feiern konnten. Natürlich durfte es nicht zu laut werden, denn eine Etage tiefer saß nicht nur unser Chef, sondern auch die Leitung des Baubetriebes, die allzu gerne an die Zentrale nach Rostock weitermeldete, dass "die Architekten wieder mal über die Stränge gehauen hätten". Nebenbei folgten solche Feten einem bestimmten „wohltätigen“ Zweck: Man sprach über die Arbeit und den Alltag und redete sich dabei so manchen Ärger von der Seele. Auch Geburtstage wurden gemeinsam gefeiert und es entstand die Tradition, dass das Geburtstagskind eine handgefertigte, von allen unterschriebene Glückwunschkarte geschenkt bekam. So verschenkten wir 1978 das Kartenspiel „Plattenknecht“, in dem die Konterfeis aller Kolleginnen und Kollegen mit ihren charakteristischen Eigenarten verewigt waren. Das Spiel funktionierte nach dem "Schwarze-Peter-Prinzip". Als "Schwarzer Peter" fungierte das jeweilige Geburtstagskind, das hinter einem Röntgenapparat stand, der anstelle des Herzens eine WBS-70-Platte sichtbar machte. Später galt der „Plattenknecht“ in Kollegenkreisen sogar als scherzhafter „Ehrentitel“.
Natürlich gab es auch größere, intensiver vorbereitete „reguläre“ Feiern, die dann außer Haus stattfanden. So begingen wir das jährliche Betriebsvergnügen in der Eldenaer „Hasenbar“, Himmelfahrt in der „Schwedenschanze“ in Weitenhagen und in der Schönwalder „Biergaststätte“ wurde ein viel bejubelter Architektenfasching gefeiert, der sich auch bei den Kollegen anderer Greifswalder Baubetriebe und -behörden großer Beliebtheit erfreute.
Natürlich gab es dabei vieles zu lachen, und einige Anekdoten aus dem Arbeitsleben wurden noch lange immer wieder erzählt. So verfügte die Abteilung über einen PKW mit Fahrer, einem älteren Kollegen, der uns auf die diversen Außen-Baustellen und den Chef zur Abteilungsleiterbesprechung nach Rostock fahren musste (Dienstwagen mit Fahrer waren in der DDR ein Privileg). Da durfte ich manchmal mit und konnte gelegentlich erleben, wie der Chef hinterher an einer kleinen Kneipe halten ließ (in Poggendorf oder Zarnekow, wie die Dörfer im Norden so hießen), um seinen während der Besprechung im Rostocker Hauptbetrieb gesammelten Frust hinunterzuspülen. Hinterher musste öfter angehalten werden, um die Alleebäume bis nach Greifswald hinein zu begießen. Auch die Erlebnisse unseres Fahrers mit einem seiner älteren Autos (einem schwarzen EMW) wurden dabei erzählt, und so erfuhr ich, dass er auf einer der o.g. Alleen schon mal ein Rad verloren hatte. Bei voller Fahrt, man stelle sich vor, rollt vor dem Auto ein Rad in den Straßengraben und der Chef fragt: Kaaarl, is das da voorne unser Raad? Karl bremst, der Wagen kippt sachte nach links (oder rechts), hält an und Karl sagt: Joh, klaar.
Dr.-Ing. Architekt Frieder Hofmann
gpfhofmann@parus-le.de
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Aktualisierung: November 2024
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